Umgestaltungsphase
Vom Wissenschaftsgarten zum Denkmal

Die Ansicht von 1881 zeigt die großen Gewächshäuser, die seit 1864 bereits im Botanischen Garten gebaut worden waren. (Bildarchiv Foto Marburg)

Albert Wigand (1821-1886) ist ab Dezember 1861 Direktor des Alten Botanischen Gartens Marburg. Als Botaniker, Morphologe und Pharmakognostiker setzt er neue Forschungsschwerpunkte, die unmittelbar Auswirkung auf die Gestalt des Gartens haben. So führt Wigand von 1862 bis 1867 mit Universitätsgärtner Zeller eine grundlegende Umgestaltung durch, was einer wissenschaftlichen Neuordnung des Wenderothschen Gartens gleichkommt. Die Systembeete erhalten nun wieder mehr Gewicht. Wigand modernisiert darüber hinaus die Struktur des "Landschaftsgartens", indem Wege und Pflanzbeete in Anlehnung an die Lenné-Meyersche Schule ein Kontinuum der geschwungenen Linie bilden. Als wesentliche Neuerung kann daher auch die Umwandlung des runden Bassins in einen "natürlichen Teich" angesehen werden, wodurch das formale Zentrum aufgelöst wird. Ein- und Ausbuchtungen prägen bis heute die geschwunge Uferlinie. Dem steht die These gegenüber, bei dem Teich handele es sich um ein natürliches Aulehmgewässer (Prof. Huckriede, Marburg). Offenbar spielte dieser geologische Aspekt bei den Gartenplanern keine Rolle. Will man den Plänen Glauben schenken, dann übernahm Wigand das schon um 1850 geschaffene Bachbett zwischen Teich und Mühlgraben (Plan von 1812 und 1854). Der Bachlauf wird allenfalls landschaftlich überformt. Auf der Seite des Pilgrimsteins legt Wigand, ein Liebhaber der Alpenflora, erstmals ein Alpinum an: ein kleiner Hügel, auf dem zwischen Felsen Alpenpflanzen wachsen. Als einer der ersten Gärten in Deutschland führt Wigand im Alten Botanischen Garten die Geographischen Zonen ein. So gelangen erstmals Gehölze aus Übersee in größerer Anzahl an den Pilgrimstein. Wir finden Raritäten aus Nordamerika, Japan, China, Südeuropa und Kleinasien. Viele dieser Exoten stehen noch heute in den historischen Quartieren vor dem Institut. Bei der Anordnung des Systems verzichtet Wigand völlig auf rasterförmige Beetanlagen. Statt dessen schafft er kleine rundliche Pflanzgruppen (Familien), faßt sie mit Buchsbaum ein und verteilt sie über den ganzen Garten. Dazwischen laufen Sandwege. Der Rundgang beginnt im Osten, vor den neuen Gewächshäusern, bei den niederen Pflanzen (Rosaceen). Im Uhrzeigersinn gelangt man allmählich zu den höheren Pflanzen (Lippenblütler, Kätzchenblüher). Bei den Einkeimblättrigen (Orchideen, Palmen) endet der Rundgang. Auf diese Weise soll der Studierende eine Übersicht über den Aufbau des Pflanzenreichs bekommen. Mit der damals umstrittenen Evolutionstheorie Darwins hängt dieser Parcour jedoch nicht zusammen. Wigand war Gegner von Darwin! Anstelle von Wenderoths Auditorium baut Wigand weiter westlich ein regelrechtes Institut. Nach Plänen von Carl Schäfer wird ein neugotisches Gebude 1873 bis 1875 an zentraler Stelle erichtet. Als "Botanisches Museum" deklariert, nimmt das Haus die sehr bedeutende botanische Sammlung auf. Mit Labor, Hörsaal, Seminarräumen und Bibliothek ist nach Jahren des Provisoriums eine gute Basis für Forschung und Lehre geschaffen.
Bei der Umgestaltung muß Wigand grundlegende Veränderungen am Wegenetz durchführen, alles geschieht jedoch unter Schonung der alten Bäume. Unverpflanzbare Altbäume können erhalten werden, da die Pfade einfach herumgeführt werden. Wigands "Lehrpfad durch das Pflanzenreich" ist heute noch in Grundzügen nachvollziehbar. Leider ist seit 1976 durch Abbruch des Holzsteges der Übergang vom Alpinum in die Südhälfte unterbunden. Wo einst die Systembeete der Hahnenfußgewächse, Lippenblütler und vieler anderer Familien den Garten systematisch gliederten, haben sich durch Herausnahme der Beete größzügige Wiesenflächen etabliert. Auf ihnen entfalten heute malerische Solitärbäume (Traubeneiche, Tulpenbaum, Magnolien, Papierbirke) ihre stolze Alterspracht. Es gilt, solche positiven Entwicklungen nicht umzukehren, sondern fortzuführen. Im Westen besteht noch immer Wigands Coniferetum (Abt. Gymnospermen = Nacktsamer). Erstaunlicherweise ist der Bestand sehr geschlossen, was auf kontinuierliches Nachpflanzen zurückzuführen ist. Die sich nach Norden anschließende Kätzchenblüherwiese (Eiche, Platane, Buche etc.) ist Entfaltungsgebiet unserer einheimischen Wald- und Laubbäume. Ein Leitbaum wie die 200jährige Rotbuche am Pilgrimstein, noch von Wenderoth gepflanzt, sollte nach ihrem Exitus schnellstens wieder durch einen Jungbaum für den nötigen Lückenschluß zur Straße ersetzt werden.

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